Borrell, Kyriakides, Valean: Brüsseler Beziehungen mit der Ölindustrie

Drei Mitglieder der Kommission von Ursula von der Leyen hatten teilweise enge Verbindungen zur Öl- und Gasindustrie. [Drop of Light / Shutterstock]

Drei Spitzenbeamte in Ursula von der Leyens EU-Kommission – namentlich Josep Borrell, Stella Kyriakides und Adina Vălean – hatten bis vor kurzem teilweise enge Kontakte zur fossilen Brennstoffindustrie, so ein neuer Bericht.

Die Studie der NGO Global Witness zeigt Verknüpfungen zwischen den drei EU-Kommissionsmitgliedern und Unternehmen auf, die im Geschäft mit fossilen Brennstoffen tätig sind.

Obwohl alle drei die Kontakte zu ihren vorherigen Jobs und Auftraggebern abgebrochen hatten, bevor sie der Europäischen Kommission beitraten, sollten ihre früheren Aktivitäten sowie weitere Verknüpfungen zwischen ihren unmittelbaren Familienmitgliedern und dem Fossil-Sektor „zumindest Anlass zum Nachdenken über ihre Ernennung zu angeblich ‚grünen‘ Kommissionsmitgliedern geben“, kritisiert Global Witness.

Von EURACTIV.com kontaktiert, verwies die Europäische Kommission auf ihren Verhaltenskodex, der besagt, dass ein „Interessenkonflikt nicht vorliegt, wenn ein Mitglied lediglich als Mitglied der Allgemeinheit oder [im Rahmen] einer breiten Personengruppe betroffen ist“.

„Dies gilt auch für Familienmitglieder“, sagte ein Sprecher der Kommission und merkte an, dass abgesehen von Kommissarin Vălean, die für Verkehr zuständig ist, „keines der drei genannten Mitglieder des Kollegiums direkt für die Energie- und Klimapolitik zuständig ist“.

Die Klimaschutz-Scharade

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Josep Borrell

Von den drei Kommissionsmitgliedern ist der für die EU-Außenpolitik zuständige Spanier Josep Borrell wohl am direktesten mit den Interessen der Öl- und Gasindustrie verbunden: Von 2009 bis 2016 saß er im Vorstand von Abengoa, einem spanischen Energieunternehmen, das sich mit dem Bau von Gas- und Dampfturbinenkraftwerken beschäftigt. Während dieser Zeit erhielt Borrell von Abengoa bis zu 300.000 Euro pro Jahr.

Borrells Geschäftsbeziehung mit Abengoa brachte ihm bereits zuvor Ärger ein. Im Jahr 2012 musste er als Präsident des Europäischen Hochschulinstituts zurücktreten, nachdem er es versäumt hatte, seine Beteiligung an dem spanischen Energieunternehmen zu melden.

Aus Sicht von Global Witness wirft Borrells frühere berufliche Tätigkeit Fragen über seine Fähigkeit auf, die sogenannte „grüne Diplomatie“ der Europäischen Union bei den UN-Klimaverhandlungen Ende diesen Jahres angemessen zu leiten. Borrell hatte die Union auch schon bei der COP25 im Jahr 2019 vertreten, erinnert die NGO.

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hatte bei ihrem Amtsantritt den Green Deal als das “Markenzeichen” ihrer fünfjährigen Amtszeit sowie als „neue Wachstumsstrategie“ der EU für die kommenden Jahrzehnte deklariert. Ihr Hauptziel sei es, Europa zum „ersten klimaneutralen Kontinent der Welt“ zu machen.

Neue Kommission verspricht "Green Deal"

„Ich möchte, dass der Green Deal Europas Markenzeichen wird,“ so die designierte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen gestern bei der Präsentation ihres neuen Teams.

Für Global Witness bedeutet dies, dass sich die Kommission auch den höchsten ethischen Standards verpflichten sollte: „Die Europäische Kommission hat deutlich gemacht, dass sie bei der Bekämpfung der Klimakrise eine globale Führungsrolle übernehmen will, aber ihre Verbindungen zur Industrie für fossile Brennstoffe, die diese Krise mitverursacht hat, reichen tief. Um der Herausforderung, den Klimawandel zu bekämpfen, gewachsen zu sein, darf die Kommission nicht an Unternehmen gebunden sein, die den Profit über die Menschen und den Planeten stellen,“ betonte Barnaby Pace von Global Witness.

Die Öl- und Gasindustrie habe es geschafft, „gerade durch ihren Einfluss auf die Politik so mächtig zu werden. Der europäische Green Deal muss einen Wendepunkt markieren; und die Verbindung zwischen Politik und Verschmutzern müssen gekappt werden,“ forderte Pace gegenüber EURACTIV.

Sprecher der EU-Kommission betonten auf Nachfrage, dass „Herr Borrell die etablierten Verfahren der Europäischen Kommission zur Prüfung potenzieller oder vermeintlicher Interessenkonflikte zufriedenstellend durchlaufen“ und seine Bestätigungsanhörung im Europäischen Parlament ohne größere Probleme bestanden habe.

Stella Kyriakides

Im Gegensatz zu Borrell hatte die für Gesundheit zuständige Kommissarin Stella Kyriakides aus Zypern beruflich nicht direkt mit der Industrie zu tun.

Aus ihrer im Februar dieses Jahres eingereichten Interessenerklärung geht jedoch hervor, dass ihr Ehemann Vorsitzender bei Motor Oil Holdings Ltd und Petroventure Holdings Limited war, zwei zypriotischen Unternehmen, die zusammen wiederum einen 40-prozentigen Anteil an Motor Oil Hellas besitzen, einer großen griechischen Ölraffinerie- und Handelsgesellschaft.

Motor Oil Hellas betreibt die Raffinerie in Korinth, den größten in Privatbesitz befindlichen Industriekomplex in Griechenland, der 186.000 Barrel Rohöl pro Tag verarbeitet. Das Unternehmen war auch an Gasprojekten in Texas und Tansania beteiligt. 

Auf Fragen von Global Witness erklärte ein Sprecher von Kyriakides, die Vorstandsämter ihres Mannes würden keinen Konflikt im Sinne des Verhaltenskodex der EU-Kommission darstellen.

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Adina Vălean 

Etwas komplizierter verhält sich die Lage bei der rumänischen Verkehrskommissarin Adina Vălean. Bei der Durchsicht ihrer Interessenerklärung fand Global Witness heraus, dass sie im Beirat von Finite Assets Ltd. saß, einer offenbar auf den Britischen Jungferninseln registrierten Firma. Dafür erhielt sie Beratungshonorare in Höhe von genau 104.325 Euro.

Diese Beratertätigkeit fand statt, als Vălean noch Mitglied des Europäischen Parlaments war, also bevor sie ihre jetzige Rolle antrat, wie aus einer separaten Interessenerklärung hervorgeht, die von ihrem Ehemann, einem rumänischen Politiker, eingereicht wurde.

Als Vălean noch im Beirat von Finite Assets saß, war das Unternehmen offenbar zu 100 Prozent im Besitz der Rompetrol Holding S.A., einer Schweizer Firma, die Medienberichten zufolge wiederum dem Milliardär Dinu Patriciu gehörte.

Rompetrol war vollständig in Staatsbesitz, bis Patriciu es 1993 erwarb. Später wurde er Rumäniens reichster Mann, nachdem er das Unternehmen in zwei separaten Deals zwischen 2007 und 2009 an KazMunayGas, Kasachstans staatliche Öl- und Gasgesellschaft, verkauft hatte.

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„Es gibt keinen Hinweis darauf, dass Văleans Verbindungen zu Patriciu ihre Arbeit im Europäischen Parlament“ oder in anderen Politikbereichen beeinflusst hätten, räumt Global Witness ein. „Aber ihre Nähe zur Industrie wirft umfassendere Fragen über ihre Prioritäten und ihre Eignung für einen Kommissionsposten von zentraler Bedeutung für CO2-Emissionen [Verkehr] auf.“

Ein Sprecher wollte sich auf Nachfrage von EURACTIV nicht zur Beratungstätigkeit während Văleans Zeit als Europaabgeordnete äußern. Es gab lediglich einen Verweis auf die „besonders robusten Schutzmaßnahmen“, die der Verhaltenskodex der Europäischen Kommission biete.

Daniel Freund, ein deutscher Europaabgeordneter der Grünen, glaubt jedoch, dass gerade für die Kommission höhere ethische Standards angelegt werden sollten als die derzeit gültigen: „Die Politik, die von der EU-Kommission umgesetzt wird, muss Richtlinien folgen, die zum Gemeinwohl beitragen, und sie darf nicht von großen Wirtschaftsakteuren geprägt sein. Mögliche Interessenkonflikte einiger Kommissare müssen deshalb unterbunden werden“, so Freund. „Leider ist es die Kommission selbst, die mögliche Interessenkonflikte ihrer Kommissarinnen und Kommissare prüft.“

Um Interessenkonflikte zu vermeiden, müsse die EU daher „ein unabhängiges Ethikgremium“ einrichten, fordert Freund. „Sonst laufen wir Gefahr, das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in dieses europäische Projekt zu verlieren.“

Deja-vu

Es ist nicht das erste Mal, dass der Europäischen Kommission Ärger ins Haus steht, weil es Verbindungen zwischen Mitgliedern und der Öl- und Gasindustrie gibt: In der vorherigen Kommission, die von Jean-Claude Juncker geleitet wurde, geriet der Energie- und Klimakommissar Miguel Arias Cañete wegen seiner früheren Verbindungen zur Ölindustrie ebenfalls unter heftigen Beschuss der Europaabgeordneten.

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Während seiner Bestätigungsanhörung im Europäischen Parlament war der ehemalige spanische Landwirtschaftsminister heftig kritisiert worden, weil er in letzter Minute die Erklärung über seine finanziellen Interessen abgeändert und seine Anteile an zwei Ölfirmen – Ducar und Petrologis – in letzter Minute verkauft hatte, bevor er vor den Abgeordneten erschien.

Seine Ernennung wurde später als Teil eines breiteren Koalitionsabkommens zwischen den beiden größten Fraktionen des Parlaments – der konservativen EVP und der sozialdemokratischen S&D – genehmigt.

Am Ende seiner Amtszeit wurde Cañete allerdings als Vorkämpfer einer ambitionierten EU-Klimadiplomatie gefeiert. Mit seiner Haltung erntete er nicht selten Lob von diversen Umwelt-NGOs.

[Bearbeitet von Zoran Radosavljevic und Tim Steins]

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