Wie gut vertragen sich Alpentourismus und Umweltschutz?

Jedes Jahr zieht es 100 Millionen BesucherInnen in die Alpen. Verträgt das Ökosystem der Berge den Massentourismus oder bleibt Umweltschutz dabei auf der Strecke? [EPA-EFE/PHILIPP GUELLAND]

Wer in die Berge fährt, ist nicht alleine. Rund 100 Millionen Menschen besuchen jährlich die Alpen. Wandern, Mountainbiken, Skifahren – an der frischen Bergluft ist Sport nunmal am Schönsten. Doch die Menschenmassen hinterlassen auch einen enormen Fußabdruck. Ein Interview mit Vitalpin-Geschäftsführerin Theresa Haid.

Die herrlichen Berglandschaften der Alpen wirken idyllisch, beruhigt und unberührt – sofern man sie aus einem bestimmten Winkel betrachtet. Aus einer anderen Perspektive blickt man häufig auf gerodete Wälder für Skipisten, ausgetretene Pfade und zerstörte Natur für Wanderer und Mountainbiker.

Dass Alpintourismus nicht gleichbedeutend mit Umweltzerstörung sein muss, zeigt Theresa Haid im EURACTIV-Interview. Sie ist Geschäftsführerin der gemeinnützigen Organisation Vitalpin, die sich für das Gleichgewicht zwischen Mensch, Wirtschaft und Natur im Alpenraum einsetzt.

Frau Haid, die Berge sind ein sehr sensibles Ökosystem. Der ansteigende Bergtourismus der letzten Jahre hat diesem Ökosystem ordentlich zugesetzt und die Natur auch teilweise zerstört. Um diesem Problem zu begegnen, müsste man die Besucherzahlen begrenzen. Welches Ausmaß an Bergtourismus wäre nachhaltig für die Alpen?

Diese Frage muss man differenziert betrachten. Natürlich sorgt der Tourismus für Verkehrsaufkommen in den Bergen, aber die viel größere Verkehrsbelastung für die Alpen ist der Transitverkehr.

Zudem darf man die Frage nach der Nachhaltigkeit nicht nur auf die Natur der Alpen beziehen, auch wenn sie natürlich ein sehr wichtiges Kapital ist. Auch die Menschen und die Gesellschaft in den Ortschaften und Gemeinden sind ein wichtiger Aspekt bei der Frage, wie viel Tourismus die Alpen vertragen. Beim Massentourismus ist die Belastung für die Menschen vor Ort ebenso groß, wie für die Natur.

Was können wir als Gesellschaft, die gerne in die Alpen fährt, zu einem nachhaltigen Bergtourismus beitragen?

Es braucht ein Umdenken auf allen Seiten, sowohl bei Gastgebern als auch bei den Gästen. Ich könnte mir zum Beispiel einen Knigge vorstellen mit Verhaltensregeln, was sich gehört und was nicht. Es gibt zwar Gesetze, aber es muss noch darüber hinausgehen.

Ein Beispiel: Künstlich beschneite Piste, die die Bergbahnen schon im September eröffnen. Das sorgt weltweit für massivste Kritik. Sowas gehört für mich in so einen Knigge. Es muss bestimmte Saisonzeiten dafür geben. Man kann nicht in Zeiten des Klima- und gesellschaftlichen Wandels im September eine Skipiste aufmachen. Stattdessen sollte man lieber auf Qualität statt auf Quantität setzen. Ich glaube nicht, dass es zielführend ist, die Infrastruktur von Skigebieten noch permanent auszubauen.

Auf der anderen Seite braucht es natürlich auch einen Knigge für die Gäste. Bei vielen fehlt es an Wissen und Bergkompetenz, da würden Verhatensregeln helfen. Zum Beispiel sollte man auf die Traditionen der einheimischen Bevölkerung und auf die Natur achten, indem man auf ausgewiesenen Wegen bleibt.

Muss sowas nicht auch politisch umgesetzt werden?

Ganz bestimmt. Ich glaube, sowas muss auch in einer Tourismus-Strategie verankert werden. Es gibt schon einige Länder – zwar nicht im alpinen Bereich – wo jeder Tourist bei der Einreise ein Versprechen abgeben muss, sich an einen Kodex zu halten. In Island ist das der Fall. Sowas finde ich gut, aber es muss eben systemisch verankert werden.

Wintersport ist besonders kritisch, da sehr stark in die Natur eingegriffen wird. Zwar entstehen offiziell keine neuen Skigebiete, doch die bereits existierenden vergrößern sich laufend. Muss man die Skigebietsbetreiber zu mehr Nachhaltigkeit verpflichten? 

Es stimmt so nicht, dass sich die existierenden Skigebiete laufend vergrößern. Es gibt einige wenige geplante Zusammenschlüsse. Tatsächlich nimmt die absolute Zahl an Liftbetrieben ab, weil sehr viele kleine Skigebiete schließen. Auch der Fortschritt der Technik sorgt dafür, dass mehrere kleine Lifte durch einen größeren ersetzt werden.

Was aber stimmt ist, dass sich die Skigebietsbetreiber lange Zeit in einem Aufrüstungswettbewerb befunden haben. Doch auch dort wächst eine neue Generation heran, die das Thema Umweltschutz besser verinnerlicht hat. Umweltschutz wird von den Skigebieten bereits teilweise betrieben. Das kann man natürlich noch verstärken. Aber was viele nicht wissen, die Skigebiete sind gesetzlich verpflichtet für die Fläche für Erweiterungen hohe Ausgleichszahlungen und Leistungen zu erbringen. Das muss dann woanders wieder aufgeforstet werden.

Ischgl gibt zum Beispiel seit 2019 an, klimaneutral zu sein, indem sie ihre Emissionen nicht nur durch Offsetting kompensieren, sondern auch Netto reduzieren. Was können andere Skigebiete von Ischgl lernen?

Es geht nicht nur um das Label “Klimaneutral”, sondern um tatsächliche Emissionsreduzierung. Das Bewusstsein der gesamten Branche für dieses Ziel ist durch Ischgl enorm gestiegen. Sie wissen nun, es muss was getan werden und es reicht nicht, einfach nur Klimaneutral zu sein. Allein, dass Ischgl die eigene Bilanz erstellt hat, hält der Branche den Spiegel vor. Es ist vielen Skigebieten ja überhaupt nicht bewusst, wie ihr eigenes Geschäftsmodell die Umwelt beeinflusst.

Welche Maßnahmen können Skigebiete zur CO2-Reduzierung umsetzen?

Zum Beispiel die Pistenpräparierung: Die verursacht in allen Skigebieten am meisten CO2. Noch gibt es keine Pistenraupen, die komplett CO2-neutral sind. Da hängen wir auch vom technischen Fortschritt ab. Was wir aber tun können ist ein auf Effizienz ausgerichtetes Fahrtechniktraining. So kann man bis zu 20 Prozent CO2-Emissionen einsparen. Oder ein Abfallreduzierungs-Programm in der Berggastronomie: Dabei wird der Abfall gesammelt und sortiert und anschließend eine Optimierungsstrategie vorgeschlagen. So kann die Abfallmenge um bis 40 Prozent reduziert werden.

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