Die Versuche der EU, Künstliche Intelligenz zu regulieren, könnten in Zukunft auf neue Herausforderungen stoßen. Diese ergeben sich aus einem Abkommen zum E-Commerce auf Ebene der Welthandelsorganisation (WTO). Eine neue Studie, die am Dienstag veröffentlicht wurde, zeigt die potenziellen Probleme auf.
Seit Januar 2019 laufen Gespräche zwischen den Mitgliedern der WTO, um sich auf globale Regeln zur Erleichterung weltweiter E-Commerce-Transaktionen zu einigen.
Es wurden allerdings auch Bedenken geäußert, der (derzeit von der EU unterstützte) WTO-Text könne dazu führen, dass es den Unterzeichnern künftig verboten wird, eigene Gesetze zu verabschieden, die Unternehmen dazu verpflichten, Zugang zum Quellcode ihrer Software zu gewähren.
Ähnlich wird nun in einem Bericht des deutschen Bundesverbandes der Verbraucherzentralen und Verbraucherverbände (vzbv) argumentiert: Eine Reihe von EU-Zielen im Bereich der Digitalpolitik, die derzeit auf dem Tisch liegen, könnten demnach durch ein WTO-Abkommen zunichte gemacht werden.
„Das bedeutet, dass die Möglichkeit der EU, Vorschriften zu erlassen, die externe Audits
von KI-Systemen vorschreiben, auf den handelsrechtlich zulässigen Spielraum beschränkt sein würden,“ wird in der Studie gewarnt. Dabei sind laut EU-Verträgen der Rat und die Europäische Kommission dafür verantwortlich, dass Handelsabkommen stets mit der Politik und den bestehenden Regelungen der EU vereinbar sind.
Darüber hinaus wird festgestellt, dass auch Maßnahmen, die im vergangenen Dezember als Teil des Digital Services Act (DSA) festgelegt wurden, durch ein entsprechendes WTO-Abkommen zum elektronischen Handel gefährdet sein könnten. Der DSA gilt als ein zentrales EU-Dokument, das neue Regeln für die großen Online-Plattformen festlegt – einschließlich der Möglichkeit, es Forschenden zu erlauben, die systemischen Risiken von Plattformen zu untersuchen, indem sie auf grundlegende Daten zugreifen können.
In dem Bericht heißt es dazu, derartige Schritte der EU würden dazu beitragen, die Rechenschaftspflicht zu erhöhen und sicherzustellen, dass die EU-Verbraucherrechte eingehalten werden. Im Gegensatz dazu würde die mögliche „Quellcode-Klausel in Handelsabkommen nicht nur Computer- und Machine-Learning-Algorithmen schützen, sondern auch die Schnittstellen eines KI-Systems, die für solche externe Überprüfungen unerlässlich sind.“
Isabelle Buscke, Leiterin des vzbv-Büros in Brüssel, warnte in einer Stellungnahme, die digitalpolitischen Bemühungen der Kommission sollten nicht durch das Streben nach globalen Handelsabkommen beeinträchtigt werden.
„Handelsabkommen dürfen eine verbraucherfreundliche Regulierung von Algorithmen nicht behindern. Wir stehen noch ganz am Anfang einer fundamentalen Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft durch Künstliche Intelligenz,“ betonte Buscke. Die Europäische Union müsse daher „sicherstellen, dass Handelsverträge ihren eigenen Regulierungsplänen nicht im Wege stehen und Verbraucherschutz an dieser Stelle nicht aushebeln können – heute und auch in Zukunft nicht.“
Industrie will Einigung auf WTO-Ebene
Auf der anderen Seite veröffentlichte eine Gruppe von Industrievertretern am Dienstag eine Erklärung, in der sie die WTO-Unterhändler drängen, eine Einigung zu erzielen.
Die Mitteilung, die von der Software-Branchenvereinigung BSA und der Internationalen Handelskammer (ICC) lanciert wurde, fordert ein „liberaleres“ globales Umfeld für Datentransfers und warnt vor Bestrebungen, Daten in bestimmten Rechtsordnungen lediglich lokal zu verwalten.
Victoria Espinel, Präsidentin und CEO der BSA sagte dazu: „Unsere Arbeitsplätze, unsere Gesundheit, unsere Bildung und unser Wohlergehen hängen heute wie nie zuvor von digitaler Vernetzung und Datenströmen ab. Wir fordern die Regierungen daher dringend auf, entsprechende WTO-Verpflichtungen auszuhandeln, die den nahtlosen und sicheren grenzüberschreitenden Datenverkehr unterstützen.“
[Bearbeitet von Zoran Radosavljevic und Tim Steins]