Berlin: Bundesweit erstes Landesantidiskriminierungsgesetz verabschiedet

Der Berliner Abgeordnete Carsten Schatz (Die Linke) trug während der gestrigen Diskussion über das Landesantidiskriminierungsgesetz einen Aufkleber mit der Aufschrift "Black Lives Matter". Das Gesetz soll den BerlinerInnen mehr Schutz vor Diskriminierung und Behördenwillkür garantieren. Kritik kommt vor allem von Seiten der Polizeigewerkschaften. [EPA-EFE/CLEMENS BILAN]

Das Berliner Abgeordnetenhaus hat am Donnerstag (4.Juni) ein umstrittenes Gesetz zum Schutz vor Diskriminierung durch öffentliche Behörden verabschiedet. Mithilfe einer Beweiserleichterung soll auch Racial Profiling künftig besser bekämpft werden.

Das Landesantidiskriminierungsgesetz (LADG) soll es Betroffenen leichter machen, sich gegen Diskriminierung durch öffentliche Behörden zu schützen und zur Wehr zu setzen. Wenn eine Diskriminierung als „überwiegend wahrscheinlich“ erachtet wird, muss die jeweilige öffentliche Stelle die gegen sie erhobenen Anschuldigungen fortan widerlegen. Bisher sah die Rechtslage vor, dass Betroffene eine Diskriminierung erst beweisen mussten.

„Dies ist ein wichtiger Schritt im Kampf gegen Diskriminierung und Rassismus. Erstmals ist es möglich, gegen Diskriminierungen von Seiten staatlicher Akteure vorzugehen und dies vereinfacht zu ahnden“, freut sich Werner Graf, Landesvorsitzender Bündnis 90/Die Grünen Berlin.

Neben einer Beweiserleichterung beinhaltet das Gesetz auch eine Schadensersatzpflicht für den Fall, dass eine Diskriminierung vorliegt. Darüber hinaus soll es Verbänden künftig möglich sein, stellvertretend für Betroffene klagen. Das Gesetz, dessen Verabschiedung bereits im Koalitionsvertrag der rot-rot-grünen Berliner Landesregierung verankert wurde, ist bundesweit das erste seiner Art.  

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Diskussion um Schutzlücke im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz

Befürworter argumentieren, dass mit dem LADG eine bestehende Rechtslücke geschlossen wird. Denn das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG), das 2006 in Deutschland zur Umsetzung von vier europäischen Richtlinien zur Gleichbehandlung in Kraft getreten ist, greift zwar im privatrechtlichen Bereich, nicht aber im Bereich staatlichen Handelns. So war es Verwaltungsgerichten bisher lediglich möglich, ein rechtswidriges Verhalten einer staatlichen Behörde festzustellen, ohne daraus eine Rechtsfolge ableiten zu können.

“Das LADG ist nicht nur sinnvoll, sondern auch notwendig, um europäische Vorgaben umzusetzen”, sagt Eva Maria Andrades, Geschäftsführerin des Antidiskriminierungsverbands Deutschland gegenüber EURACTIV Deutschland. Der Verband begrüßt die Entscheidung des Berliner Abgeordnetenhauses ebenso wie zahlreiche Sozial- und Migrationsverbände.

Auch Aziz Bozkurt, Bundesvorsitzender der AG Migration und Vielfalt in der SPD, zeigt sich erfreut, dass es „mit Berlin nun einen Vorreiter“ für die rechtliche Grundlage für Diskriminierungsfälle durch Behörden gebe.

Gegenwind kommt von der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG). “Die Behauptung, dass mit diesem Gesetz eine Schutzlücke geschlossen würde, ist absurd”, sagt deren Bundesvorsitzender Rainer Wendt und verweist auf das geltende Staatshaftungsrecht. Dieses greift, wenn einer Behörde eine vorsätzliche Schädigung nachgewiesen werden kann. In der Praxis kommt es jedoch kaum zum Tragen – Wendt erklärt dies damit, dass es nur in wenigen Fällen behaupteter Diskriminierung tatsächlich Anhaltspunkte für ein falsches Handeln seitens der Polizei gebe.

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In Deutschland hat die Anzahl politisch motivierter Straftaten im vergangenen Jahr deutlich zugenommen. Mehr als die Hälfte lassen sich dem rechten Spektrum zuordnen. Erstmals wurden auch Straftaten im Internet von der Statistik erfasst.

CDU: Gesetz eine „Misstrauenserklärung“

Deutschlandweit stößt das Gesetz vor allem bei Polizeigewerkschaften auf breite Ablehnung. „Das Gesetz ist getrieben von Misstrauen und Verachtung gegenüber der Polizei und dem gesamten öffentlichen Dienst in Berlin“, sagt Wendt. Insbesondere das Verbandsklagerecht würde dazu führen, dass die Arbeit der Polizei ad absurdum geführt würde, so Wendt. 

Unterstützung erhalten die Polizeigewerkschaften vom Beamtenbund Berlin und der Berliner CDU. Das Gesetz sei „in Wahrheit ein Beamtendiskriminierungsgesetz“, sagte der Berliner CDU-Abgeordnete Burkhard Dregger gestern im Berliner Abgeordnetenhaus. Auch Kai Wegner, Landesvorsitzender der CDU Berlin, kritisiert das Gesetz scharf: „Durch das Gesetz werden PolizistInnen und andere öffentlich Beschäftige unter Generalverdacht gestellt“. Es stelle „eine einzige Misstrauenserklärung gegenüber den Beschäftigten“ dar, so Wegner. 

Ähnlich hatte sich Anfang der Woche auch Bundesinnenminister Horst Seehofer (CDU) gegenüber dem Tagesspiegel geäußert und das Gesetz als „im Grunde ein Wahnsinn“ bezeichnet.  

Welle der Anti-Rassismus-Proteste in den USA ebbt nicht ab

Erneut haben am Dienstag landesweit Demonstranten das immer wieder brutale Vorgehen von Polizisten gegen Afroamerikaner angeprangert. Zu der wohl größten Demonstration des Tages strömten schätzungsweise 60.000 Menschen zusammen. Die erneuten Proteste blieben zunächst überwiegend friedlich.

Kampfansage auch gegenüber Racial Profiling

Zusätzliche Brisanz hat die Debatte um das Gesetz durch die Geschehnisse in den USA erhalten. Denn auch in Deutschland haben, ausgelöst durch den gewaltsamen Tod des Afroamerikaners George Floyd, in den vergangenen Tagen tausende Menschen gegen Rassismus und Polizeigewalt protestiert. Dass die Verabschiedung des LADG ausgerechnet jetzt erfolgt ist, ist Zufall. Das Wissen um eine Verankerung rassistischer Strukturen – auch hierzulande – aber nicht neu.

„Niemand und nichts ist völlig frei von Rassismus und Diskriminierung, erst recht nicht in einer weißen Mehrheitsgesellschaft“, betont Graf. Daher sei es umso wichtiger, Strukturen zu schaffen, die Diskriminierung aufdecken.

„Racial Profiling gibt es auch in Deutschland“, sagt auch Dietmar Köster (S&D/SPD), Mitglied im Ausschuss für Auswärtiges und der US-Delegation des Europäischen Parlaments. Ein Beispiel hierfür seien „vermeintlich verdachtsunabhängige Kontrollen von Menschen mit dunkler Hautfarbe“.

Einem Bericht der Antidiskriminierungsstelle des Bundes auf dem Jahr 2016 zufolge sind bei Diskriminierungsfällen, die von PolizistInnen ausgehen, Diskriminierungserfahrungen aus rassistischen Gründen in Deutschland überrepräsentiert.

Andrades betont, dass es jedoch bei dem neuen Berliner Gesetz um “viel mehr” gehe “als nur um die polizeiliche Arbeit und rassistische Diskriminierung“. Sie weist darauf hin, dass rund 20 Prozent der Fälle, die bei Antidiskriminierungsstellen in Deutschland gemeldet würden, eine Diskriminierung durch Behörden betreffen würden. 

Die Berliner Senatsverwaltung für Justiz, Verbraucherschutz und Antidiskriminierung hofft, dass die übrigen Bundesländer sich am Berliner LADG orientieren werden. “Denn”, so ein Sprecher der Senatsverwaltung gegenüber EURACTIV Deutschland, “das Ziel einer diskriminierungsfreien Verwaltung sollte im Jahr 2020 nicht mehr in Frage gestellt werden”. 

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