Europas Verkehr wird auch 2030 noch stark von Öl abhängig sein

Dicke Luft: NGOs und Lobbyverbände sind mit den Fortschritten in der EU unzufrieden und fordern sowohl den Ausbau erneuerbarer Energie als auch von alternativen "grünen" Kraftstoffen wie Biodiesel und Wasserstoffantrieben. [EPA/ ZSOLT SZIGETVARY]

Trotz des erklärten Ziels der Europäischen Kommission, den Verkehrssektor zu „dekarbonisieren“ – und verschiedener von ihr dafür vorangetriebener Rechtsvorschriften – wird der europäische Verkehrssektor wohl auch 2030 noch stark vom Öl abhängig sein.

EURACTIV hatte die EU-Exekutive nach ihren Best- und Worst-Case-Szenarien für die Einsparung von CO2-Emissionen im Verkehrsbereich gefragt. Die Kommission verwies auf ein Arbeitspapier der Kommissionsdienststellen für eine „Europäische Strategie für emissionsarme Mobilität“ (hier im ausführlicheren Original auf Englisch).

In diesem heißt es mit Blick auf 2030: „Ölprodukte werden immer noch 86-87 Prozent des Bedarfs des EU-Verkehrssektors ausmachen – im Vergleich zu 94 Prozent heute – trotz der erheblichen Reduzierungen, die in absoluten Zahlen erreicht wurden.“

Im selben Dokument wird betont, dies zeige, dass die Einführung alternativer Kraftstoffe und Energieträger Zeit brauche, insbesondere aufgrund der eher schrittweisen Erneuerung der Fahrzeugflotten.

Allerdings wird hinzugefügt, dass bei allen Wegen/Szenarien für die Dekarbonisierung langfristig eine deutliche Verringerung der im Verkehr eingesetzten Ölprodukte (194 bis 200 Millionen Tonnen Rohöläquivalent weniger im Jahr 2050 im Vergleich zum Referenzjahr 2016) und somit auch der Ölabhängigkeit zu erwarten ist.

[Quelle: Europäische Kommission]

2050 würden Ölprodukte dann aber immer noch etwa 49-51 Prozent des Bedarfs des EU-Verkehrssektors ausmachen.

EURACTIV fragte bei der Exekutive daher auch nach, wie die EU das große Ziel des Green Deal – Klimaneutralität bis 2050 – erreichen wolle, wenn dann die Hälfte des Verkehrs immer noch mit Öl angetrieben würde. Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung dieses Artikels im englischen Original hatte sich die Kommission dazu nicht geäußert.

Zeit für’s Umdenken

Die EU versucht seit der ersten Erneuerbare-Energien-Richtlinie von 2009 eine Lösung für die Dekarbonisierung des Verkehrssektors zu finden. Es wird erwartet, dass mit dem Green Deal nun einige Rechtsakte überarbeitet werden.

Dies wird sicherlich auch im Bereich Verkehr der Fall sein, da dieser fast ein Viertel der europäischen Treibhausgasemissionen verursacht und die Hauptursache für die Luftverschmutzung in den Städten ist.

Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier drängte allerdings kürzlich in einem Schreiben an den Klimachef der Kommission, Frans Timmermans, auf ein Moratorium der erneuten Verschärfung der CO2-Ausstoßwerte von Autos, welche die EU-Kommission für 2021 in Betracht ziehen will.

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KritikerInnen legen nahe, dass für den Zeitraum bis 2030 alle Gesetzesvorschläge im Verkehrssektor zu sehr auf den steigenden „erneuerbaren Energiemix“ von 13 Prozent fokussiert sind, während der 87-Prozent-Anteil am Energieverbrauch durch Öl und Benzin unberücksichtigt bleibt.

Die Lobby-Organisation European Biodiesel Board (EBB), die die Verwendung von Biodiesel fördert, äußerte ihre tiefe Besorgnis über den mangelnden Ehrgeiz der Kommission, fossile Brennstoffe im Verkehrssektor effektiv abzubauen. „Wir haben diese Bedenken wiederholt an die politischen Entscheidungsträger der EU weitergeleitet,“ beschwerte sich das EBB gegenüber EURACTIV.com.

Es solle „jede Maßnahme – wie eben ein Ziel zur Reduzierung der Nutzung fossiler Brennstoffe – die dazu beitragen kann, die Nutzung aller verfügbaren erneuerbaren Energien […] zu erhöhen, als Teil der laufenden Diskussionen über den europäischen Green Deal betrachtet werden,“ fügte die Organisation hinzu.

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Ähnlich äußerte sich das Unternehmen EWABA, das Biodiesel aus Abfällen produziert. Seiner Ansicht nach sei ein EU-weit verbindliches Ziel zur Verringerung des Ölverbrauchs im Verkehrssektor eine erwägenswerte Option: „In jedem Fall wäre es gut, den Anteil der erneuerbaren Kraftstoffe mit hohen Treibhausgaseinsparungen zu erhöhen“, so die EWABA.

Immerhin arbeite die EU-Kommission unter der richtigen Annahme, dass der Verbrauch von fossilen Brennstoffen im Verkehrssektor aufgrund einer Kombination von Faktoren wie Co-Modalität, Digitalisierung und höheren Zielen für die Nutzung erneuerbarer Brennstoffe schrittweise sinken wird.

Ende der Multiplizierungstricks

Für Emmanuel Desplechin, Generalsekretär des Ethanolverbandes ePURE, braucht die EU vor allem eine Politik, die die Aufnahme „echter“ erneuerbarer Energien belohnt, anstatt den Beitrag bestimmter erneuerbarer Energien via sogenannten Multiplikatoren künstlich aufzublähen.

Derartige „Multiplikatoren“ gelten in erster Linie für Elektroautos: Ein Multiplikator von fünf bedeutet, dass bei Umweltberechnungen für zwei reale Elektroautos auf den Straßen letztlich zehn „gezählt“ werden.

„Die neuesten Eurostat-Zahlen der Europäischen Kommission zeigen, dass seit der Verabschiedung der ersten Richtlinie für erneuerbare Energien (RED I) im Jahr 2010 der Großteil des Anstiegs beim Anteil der erneuerbaren Energien im Verkehrssektor auf solche virtuellen Mengen zurückzuführen ist, die durch den Einsatz von Multiplikatoren geschaffen wurden. Sie zeigen auch, dass eine beträchtliche Anzahl von Mitgliedsstaaten ihr Ziel für erneuerbare Energien im Verkehrssektor für 2020 selbst mit Multiplikatoren nicht erreichen,“ kritisiert ePURE.

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Laura Buffet, Expertin für Öl- und Biokraftstoffe bei der NGO Transport & Environment, betonte, der beste Weg zur Reduzierung des Ölverbrauchs und der damit verbundenen hohen Emissionen sei die Elektrifizierung von Autos, Lieferwagen, Lastwagen und Motorrädern bei gleichzeitiger Nutzung zukünftiger nachhaltiger Ressourcen. Dazu zähle sie auch „grünen“ Wasserstoff für die Schifffahrt und weitere E-Kraftstoffe für die Luftfahrt.

Diese Forderung scheint in einigen Teilen der Politik zu verfangen: Bundesumweltministerin Svenja Schulze erklärte letzte Woche ebenfalls, man könne Quoten für grünen Flugzeugkraftstoff in Betracht ziehen, um die Nachfrage nach Wasserstoff zu erhöhen; insbesondere nach „grünem“ Wasserstoff, der mit Hilfe von erneuerbaren Energien hergestellt wird.

[Bearbeitet von Zoran Radosavljevic, Sam Morgan und Tim Steins]

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