Das staatliche Ermittlungsamt der Ukraine (SBI) hat eine strafrechtliche Untersuchung gegen den ehemaligen Präsidenten Petro Poroschenko eingeleitet. Beobachter kritisieren dies als „politisch motiviert“.
Das SBI eröffnete die neue Strafuntersuchung gegen den als pro-westlich geltenden Poroschenko mit Blick auf potenziellen Hochverrat im Rahmen der Minsk-Verhandlungen im Februar 2015, bestätigte der Pressesprecher der Agentur am Dienstag gegenüber ukrainischen Medien.
Diese Ankündigung erfolgte nur einen Tag, nachdem der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj und sein russischer Amtskollege Wladimir Putin sich auf einem Gipfel in Paris nicht über die genaue Abfolge des weiteren Vorgehens im Rahmen des Minsker Abkommens einigen konnten.
Schwedens Ex-Ministerpräsident Carl Bildt zeigte sich besorgt über die neuen Ermittlungen gegen Poroschenko, gegen den die staatliche Strafverfolgungsbehörde bereits in mehreren Fällen ermittelt.
„Das ist die Ukraine von ihrer schlechtesten Seite,“ tweete Bildt, der derzeitig Kovorsitzender des Think-Tanks European Council on Foreign Relations ist. „Janukowitsch brachte Timoschenko mit erfundenen Anschuldigungen ins Gefängnis, und jetzt scheint Selenskyj dasselbe zu wollen. Es ist eine Schande!“, schrieb er.
Bildt, der von 2006-2014 auch schwedischer Außenminister war, ist in der Ukraine eine recht bekannte Persönlichkeit. Viele sehen in ihm den maßgeblichen „Architekten“ der EU-Ostpolitik, gemeinsam mit dem polnischen Politiker Radosław Sikorski (MEP der EVP).
This is Ukraine at its very worst. Yanukovich put Tymoshenko in prison on trumped up charges, and now Zelensky seems to be aiming at doing the same. Shame! https://t.co/VafWadPSpx
— Carl Bildt (@carlbildt) December 10, 2019
In seinem Tweet verglich Bildt die Ermittlungen gegen Poroschenko mit den Repressionen gegen Julia Timoschenko, die während der Amtszeit von Viktor Janukowitsch dreieinhalb Jahre in Haft war. Bei den Präsidentschaftswahlen 2010 hatte Timoschenko mit drei Prozentpunkten gegen Janukowitsch verloren.
Auch der litauische MEP Petras Austrevicius von der liberalen Fraktion Renew Europe zeigte sich besorgt über das Vorgehen gegen Petroschenko. Er warnte, „politisch motivierte Schritte“ sollten unter allen Umständen unterlassen werden.
I express my deep concern because of Ukraine’s State Bureau of Investigation has opened a criminal case against #PetroPoroshenko, on possible treason, in respect of the Complex of Measures for Implementation of #Minsk Agreements. By all means to avoid politically motivated steps
— Petras Austrevicius (@petras_petras) December 11, 2019
Die Untersuchung gegen Poroschenko wurde auf der Grundlage einer Beschwerde von Andrej Portnow eingeleitet. Portnow war vormals der stellvertretende Leiter der Regierung von Janukowitsch, und wurde dementsprechend im Zuge der Euromaidan-Proteste 2014 abgesetzt.
Portnow behauptet, Poroschenko habe in dem Wissen darüber, dass die Separatisten in der ostukrainischen Donbass-Regions von Russland „gesteuert“ werden, im Namen der Ukraine Verpflichtungen unterzeichnet, die im Februar 2015 zum Minsker Abkommen führten. Aufgrund seines Hintergrundwissens könne man Poroschenkos Handlung daher als Verrat einstufen.
Poroschenkos Anwalt hat diese Anschuldigung bereits deutlich zurückgewiesen.
„Flut“ an Anschuldigungen
Portnow verbrachte nach der Revolution fünf Jahre im Exil und kehrte erst in diesem Jahr in die Ukraine zurück. Nach seiner Rückkehr reichte er beim SBI eine Reihe von Beschwerden ein, die letztendlich zur Einleitung mehrerer Untersuchungen gegen Poroschenko führten.
So gab das SBI bereits am 18. November bekannt, dass es Poroschenko verdächtigt, sich illegalerweise in Justizangelegenheiten eingemischt zu haben, berichtet die Kyiv Post. Bis dahin war der ehemalige Präsident lediglich als Zeuge in 13 laufenden Ermittlungen geführt worden.
Als Parlamentsabgeordneter genießt Poroschenko aktuell Immunität. Damit eine tatsächliche Anklage erfolgen kann, müsste die Immunität durch das Parlament aufgehoben werden – in dem die Partei von Selenskyj eine deutliche Mehrheit hat.
Das SBI hat einen eher mäßigen Ruf. Die Agentur wurde 2016 nach dem Vorbild des US-amerikanischen FBI aufgebaut und hat seitdem bereits eine Reihe von Skandalen durchlebt. Der jüngste betrifft SBI-Chef Roman Truba, dessen Stimme angeblich auf Aufnahmen zu hören ist, die am 19. November – also einen Tag nach der Ankündigung erster Ermittlungen gegen Poroschenko – geleakt wurden.
In der Aufnahme scheint Truba Andrej Bohdan, dem Leiter der Verwaltung von Präsident Selenskyj, bereits über eine laufende Untersuchung gegen Poroschenko zu berichten.
Der polnische Politiker Donald Tusk, ehemaliger Präsident des EU-Rates und neuer EVP-Vorsitzender, kommentierte die Leaks: „Mein erster Eindruck ist, dass da etwas wirklich Gefährliches läuft.“
[Bearbeitet von Zoran Radosavljevic und Tim Steins]