Heute gilt’s: Parlamentswahlen im Vereinigten Königreich

Der amtierende britische Premierminister Boris Johnson will heute mit seiner Konservativen Partei die Wahl gewinnen, weiterhin im Amt bleiben und den Brexit wie angekündigt zum 31. Januar erfolgreich vollziehen. [EPA-EFE/PETER POWELL]

Die Vorsitzenden der britischen Parteien sind gestern ein letztes Mal durchs Land getingelt, um Wahlkampf für die heute anstehenden Parlamentswahlen zu führen. Der Ausgang dieser Wahlen ist nach wie vor unklar und könnte durchaus eng ausfallen. Die meisten Meinungsumfragen deuten allerdings darauf hin, dass die Konservativen von Boris Johnson eine knappe Mehrheit erhalten werden.

Dennoch: Das Rennen ist eng. Die oppositionelle Labour-Partei hat den Rückstand auf die Tories auf rund acht Prozentpunkte verringert. Kurzentschlossene Wählerinnen und Wähler sowie möglicherweise taktische Wahlentscheidungen von anderen Remain-Anhängern könnten zu einem bisher unerwarteten Endergebnis führen.

Hauptthema ist natürlich der geplante Austritt des Vereinigten Königreichs aus der EU. Insbesondere rückt die (aktuelle) Frist für eine britische Ratifizierung des Austrittsabkommens am 31. Januar immer näher.

Die beiden großen Parteien bieten jedoch auch sehr unterschiedliche wirtschafts- und sozialpolitische Ansätze an.

Johnson hat seinen Brexit-Deal: Alle Augen auf Westminster

Boris Johnson hat einen Brexit-Deal mit der EU erreicht. Jetzt muss er ihn daheim in London verkaufen.

Die Konservativen hoffen, mit einer Nachahmung ihrer Referendumskampagne von 2016 unter dem Motto „Let’s get Brexit done“ einen Erfolg einfahren zu können. Dabei wollen sie vor allem von den Stimmen der mit der Labour-Politik enttäuschten Wählerinnen und Wählern in den größtenteils „Leave“-unterstützenden Gebieten in den Midlands und in Nordengland profitieren.

Indirekte Unterstützung gibt es auch durch die Entscheidung des Brexit-Hardliners Nigel Farage, keine Kandidaten seiner Brexit-Partei in Wahlkreisen antreten zu lassen, die die Konservativen bei der letzten Wahl 2017 gewonnen hatten.

Für Farage ist der Grund hingegen ein pragmatischer. Er will sich auf die Kreise konzentrieren, in denen die Brexit Party zumindest noch einige Stimmen sammeln kann. Die Zustimmung für die EU-feindliche Partei ist von 20 Prozent im Herbst auf inzwischen rund drei Prozent eingebrochen.

Labour und LibDems versprechen zweites Referendum

Auf der anderen Seite des politischen Spektrums haben sowohl die Labour-Partei als auch die Liberaldemokraten versprochen, ein zweites Referendum über den Brexit abzuhalten. Dabei wird allerdings gemutmaßt, die LibDems hätten etwas an Unterstützung eingebüßt, da sie sich nicht für eine Abstimmung über das Austrittsabkommen aussprechen, sondern einen Schritt weiter gehen und den Plan hegen, im Falle eines Wahlsiegs den gesamten Brexit-Prozess aufzuheben, indem die Auslösung von Artikel 50 der EU-Verträge rückgängig gemacht wird.

In einer Erklärung Anfang dieser Woche teilten die drei größten Pro-Remain-Kampagnengruppen – Best for Britain, People’s Vote und Remain United – mit, ihrer Ansicht nach sei „die einzige Möglichkeit für Wähler, die die schrecklichen Folgen von Boris Johnsons Brexit für Großbritannien vermeiden wollen, jetzt taktisch zu wählen“. Diese Stimmen dürften vor allem Labour zugute kommen.

Der vorweihnachtliche Brexit-Betrug an den Briten

Boris Johnson wird bei den Wahlen in Großbritannien wahrscheinlich das Rennen machen – obwohl ihn die meisten Briten gar nicht mögen. Er gilt ihnen aber gegenüber Jeremy Corbyn als das kleinere Übel, meint Birgit Maaß. EURACTIVs Medienpartner Deutsche Welle berichtet.

Unabhängig davon, ob die Konservative Partei die Wahlen gewinnt, wird Boris Johnson nicht am EU-Gipfel in Brüssel (heute und morgen) teilnehmen. Dabei könnte es das letzte derartige Treffen sein, bevor das Vereinigte Königreich den Block am 31. Januar offiziell verlassen will.

Stattdessen wird der neue Präsident des Europäischen Rates, Charles Michel, das Vereinigte Königreich vertreten, wie EU-Beamte am Mittwoch bestätigten.

Quellen aus dem Umfeld des EU-Rats wiesen gegenüber EURACTIV darauf hin, dies sei das erste Mal, dass eine Wahl einen Staats- oder Regierungschef von der Teilnahme an einem EU-Gipfel abhält.

Johnsons Zeitplan unrealistisch?

Johnson hat versprochen, im Falle eines Wahlsieges „sein“ Austrittsabkommen noch vor Weihnachten erneut ins britische Parlament einzubringen. Klar ist aber bereits, dass nicht genügend Zeit bleibt, um den Gesetzentwurf noch dieses Jahr komplett durch das Parlament zu schleusen.

Am Mittwoch warnte Farage unterdessen, das Vereinigte Königreich könnte sich im Mai „schon wieder in einer Krise wiederfinden“, da Johnsons neue Regierung schnell unter Druck geraten dürfte und dann einer Verlängerung des Brexit-Übergangs zustimmen würde, wie sie in der aktuellen Austrittsvereinbarung vorgesehen ist.

Johnson selbst hatte zuvor die Aussicht auf eine Verlängerung der Übergangszeit über Dezember 2020 hinaus ausgeschlossen und dabei behauptet, London könne innerhalb weniger Monate ein neues Handels- sowie politisches Abkommen mit der EU schließen. Grundlage dafür soll das bestehende Handelsabkommen zwischen der EU und Kanada sein.

EU stellt Bedingungen für einen Handelsdeal nach dem Brexit klar

Michel Barnier hat darauf hingewiesen, dass das Vereinigte Königreich sich verpflichten müsse, „gleiche Wettbewerbsbedingungen“ aufrechtzuerhalten und gängige EU-Verordnungen nicht zu unterlaufen, wenn ein neues Handelsabkommen nach dem Brexit geschlossen werden soll.

EU-Beamte und Handelsexperten haben diesbezüglich jedoch wiederholt ihre Skepsis geäußert. Man gehe nicht davon aus, dass die 27 verbleibenden EU-Mitgliedstaaten in weniger als einem Jahr ein derart grundlegendes Handelsabkommen mit Zollfreiheit ausarbeiten und ratifizieren können.

In einer geleakten Audio-Aufnahme eines Gesprächs zwischen EU-Parlamentariern und dem Brexit-Unterhändler der EU, Michel Barnier, betont letzterer ebenfalls, Johnsons Zeitplan sei „unrealistisch“. Wie The Independent berichtet, sei es nach Barniers Ansicht schlichtweg nicht möglich, Gespräche über ein weitreichendes Handelsabkommen, wie es der Regierung in London vorschwebt, bis Ende 2020 abzuschließen.

[Bearbeitet von Zoran Radosavljevic und Tim Steins]

Johnsons Schicksal entscheidet sich an der „roten Wand“

Boris Johnson will den Brexit über die Bühne bringen. Bei der Parlamentswahl gibt es aber mehrere Unsicherheitsfaktoren für den britischen Premier. EURACTIVs Medienpartner Der Tagesspiegel berichtet.

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