Kommission arbeitet sich an neuen Emissionsregelungen für die Luftfahrtbranche ab

Freifahrt(flug)schein: Bisher können Airlines von zahlreichen kostenlosen Verschmutzungszertifikaten profitieren. Flugreisen in und aus Nicht-EU-Staaten sind vom Emissionshandelssystem der EU ohnehin ausgenommen. [Ryan Fletcher / Shutterstock]

Die Europäische Kommission hat am vergangenen Freitag Einzelheiten darüber bekannt gegeben, wie sie plant, die Klimapolitik an den Luftfahrtsektor anzupassen: Ein globales Kompensationssystem soll mit den EU-Regeln integriert und die Genehmigungen für kostenfreie Verschmutzungsrechte reduziert werden.

Laut einem in der vergangenen Woche veröffentlichten Bericht untersucht die Kommission aktuell, wie der CO2-Markt der EU mit einem internationalen System koexistieren kann. Dieses wird unter der Ägide der UNO eingerichtet und trägt den Namen Carbon Offsetting and Reduction Scheme for International Aviation (CORSIA). Dieses System soll im Laufe dieses Jahrzehnts anlaufen.

Das EU-eigene Emissionshandelssystem (ETS) erhebt bereits heute Preise für CO2-Emissionen und verpflichtet beispielsweise Fluggesellschaften, Zertifikate für jede Tonne CO2, die sie ausstoßen, zu kaufen. Der Geltungsbereich des ETS ist jedoch auf Flüge innerhalb der EU beschränkt; internationale Reisen in oder aus Drittstaaten sind ausgenommen.

Grund dafür ist, dass die Kommission 2014 zugestimmt hatte, das ETS einzuschränken, um so die Gespräche auf UN-Ebene über ein globales System zu erleichtern. Das Ergebnis dieser Verhandlungen ist CORSIA, mit dem in Zukunft alle Emissionszuwächse ausgeglichen werden sollen.

Luftfahrtorganisation schmeißt ineffektive Offset-Systeme raus

Die Internationale Zivilluftfahrt-Organisation (ICAO) hat am vergangenen Freitag einen neuen Mechanismus für die Ausgleichssysteme für Treibhausgasemissionen von Airlines beschlossen.

Gemäß der ETS-Richtlinie würden internationale Flüge allerdings ab 2023, wenn die derzeitige Ausnahmeregelung ausläuft, Teil des EU-Zertifikatmarktes. Die Frage ist, wie es dann – auch mit Blick auf CORSIA – genau weitergehen soll.

Der Kommissionsbericht vom vergangenen Freitag skizziert sechs Optionen, darunter ein Austritt der EU aus CORSIA, ein reines CORSIA-System [also das Ende des EU-ETS für den Flugsektor] und drei weitere Möglichkeiten, in denen die beiden Mechanismen in unterschiedlichem Maße miteinander kombiniert werden.

„Es ist wichtig zu bedenken, dass sich das Ambitionsniveau von CORSIA im Laufe der Zeit weiterentwickeln kann und dass CORSIA und das EU-ETS unterschiedlicher Natur sind“, erklärt die Kommission in ihrem Schreiben.

(Auch) wegen Corona: Airlines zahlen praktisch gar nichts

Die komplette Streichung von CORSIA ist eine unwahrscheinliche Option: Die Kommission hat ihr Engagement für das Programm regelmäßig bekräftigt.

Auf der anderen Seite gilt es auch als unwahrscheinlich, dass Brüssel sich einzig und allein auf das ETS-Handelssystem verlässt – zumal nach einem Kompromiss mit den Mitgliedern der Internationalen Kommerziellen Luftfahrt-Organisation (ICAO) in der vergangenen Woche den Airlines eine Ausnahmeregelung für die künftige Emissionsberechnung gewährt wurde: Der ICAO-Rat stimmte zu, die Berechnungsgrundlage für Zertifikatpreise vom Durchschnitt der Jahre 2019-2020 auf lediglich 2019 zu ändern. Die Krise der Branche im Zuge der Coronavirus-Pandemie habe zu viel Unsicherheit gebracht und die üblichen Zahlen verzerrt, behauptete die Industrie.

Umweltgruppen und einige Abgeordnete des Europäischen Parlaments haben diese Entscheidung kritisiert, da sie praktisch jegliche Verpflichtung zur Zahlung von Ausgleichszertifikaten aufheben dürfte. Schließlich wird der massive Nachfrageeinbruch im Luftverkehr voraussichtlich erst in einigen Jahren über das Niveau von 2019 hinausgehen.

Europäisches Emissionshandelssystem "behindert" EU-Klimapolitik

Da es zuviele CO2-Zertifikate im ETS gibt, sind die Preise niedrig. Für Unternehmen ist es somit „billig“, zu schmutzig zu sein.

Weniger Freifahrtscheine

Im Rahmen der Folgenabschätzung und der laufenden Konsultationen der Kommission wird sich die EU-Exekutive auch mit der Vergabe von kostenlosen Umweltverschmutzungsgenehmigungen befassen, die den Fluggesellschaften derzeit im Rahmen des Emissionshandelssystems angeboten werden.

Gegenwärtig sind 85 Prozent der dafür vorgesehenen Zertifikate kostenlos. Anders gesagt: Lediglich 15 Prozent der Verschmutzungsrechte werden tatsächlich auf dem Markt gehandelt. 2019 sparte dieses Arrangement den Airlines rund 800 Millionen Euro.

Präsidentin Ursula von der Leyens politische Leitlinien für das Mandat ihrer Kommission beinhalteten allerdings die Zusage, die Frage dieser kostenlosen Zertifikate erneut aufzugreifen.

In der Analyse vom vergangenen Freitag werden nun fünf verschiedene Szenarien für die Aktualisierung des ETS im Flugsektor dargelegt. Dazu gehören die Beibehaltung der aktuellen 85-15-Aufteilung bis 2030; ein sofortiger Ausstieg aus dem Freifahrtschein-System, sobald die Reform rechtskräftig wird; ein immer noch relativ rascher Ausstieg bis 2025; ein etwas langsamerer Ausstieg mit steigenden Preisen bis 2030; oder eine schrittweise Reduzierung der Zertifikate, bei der einige kostenlose Genehmigungen aber beibehalten würden.

Petition: Mindestpreis für CO2-Emissionen

Eine neue Petition fordert einen Mindestpreis für CO2-Emissionen. Damit soll der Verbrauch fossiler Brennstoffe verringert und die globale Erwärmung auf unter 1,5 Grad begrenzt werden.

In Bezug auf die Umweltauswirkungen erhofft sich die Kommission auch „eine indirekte Auswirkung durch den Kauf und die Abgabe von EU-Zertifikaten aus anderen ETS-Sektoren“. Die Begründung: Da die Emissionen für die Luftfahrt gedeckelt sind, müssten Fluggesellschaften gegebenenfalls Zertifikate aus anderen Branchen dazu kaufen, um mehr CO2 ausstoßen zu dürfen. Dies würde dann „zu Reduzierungen in diesen anderen Sektoren führen“.

Eine wachsende Zahl von EU-Mitgliedsstaaten spricht sich dafür aus, den Zugang der Luftfahrtindustrie zu kostenlosen Genehmigungen zu beenden. Im März forderten die Umweltministerien von zehn Ländern eine Änderung der aktuellen Regelungen, wenngleich sie sich nicht einig waren, welches Szenario bestenfalls verfolgt werden sollte.

Weitere Studien und Konsultationen

Das ETS ist ausdrücklich auf die Eindämmung der CO2-Emissionen ausgerichtet. Eine separate Studie der Kommission wird sich bald jedoch auch mit den Klimaauswirkungen anderer Treibhausgase befassen, die von Flugzeugen ausgestoßen werden, wie zum Beispiel Stickoxide.

Indes haben Interessengruppen noch bis zum 28. August Zeit, um bei der Kommission Feedback zur möglichen Reform des ETS im Bereich Luftfahrt einzureichen.

Die Kommission plant nach wie vor, dann im zweiten Quartal 2021 einen Reformvorschlag vorzulegen.

[Bearbeitet von Tim Steins]

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