Zahl von Investorenklagen gegen Staaten steigt

ISDS cases worldwide

Weltweit werden derzeit 117 Staaten von Unternehmen verklagt, die ihre Investitionen in Gefahr sehen. Oft beugen sich Regierungen dem Druck und schwächen zum Beispiel geplante Gesetze zum Klimaschutz ab, meint die UN. Die EU drängt auf eine Reform des Klagesystems.

Dass Staaten von Unternehmen verklagt werden ist keine Seltenheit. Aber die Zahl der Verfahren nimmt weltweit zu und blockiert allzu oft Gesetzesmaßnahmen auch zum Klimaschutz, warnen Kritiker. Beispiel Frankreich: 2018 weichte das Land in Folge einer Klagedrohung des kanadischen Unternehmens Vermilion ein Klimaschutzgesetz zur Einschränkung von Erdgas und Erdöl auf. Derzeit bereitet der Energiekonzern Uniper wegen des geplanten Kohleausstiegs eine Klage gegen die Niederlande vor. Und Deutschland wird seit 2012 von Vattenfall wegen des Atomausstiegs beklagt, die Entschädigung mitsamt Prozesskosten soll über sechs Milliarden Euro betragen.

Das Recht von Investoren, Staaten zu verklagen, sei „Gift für die Bekämpfung des Klimawandels“, sagt Bettina Müller, Handelsreferentin bei PowerShift. Die Berliner NGO befasst sich u.a. mit Fragen zu einer gerechteren Weltwirtschaft und setzt sich für die Abschaffung exklusiver Konzernklagerechte ein. Damit steht sie nicht alleine. Selbst seitens der UN scheint man Bedenken zu haben. Im Sommer 2015, als tausende Menschen gegen die Verhandlungen des TTIP-Abkommens und die darin enthaltenen Investitionsschutz-Klauseln auf die Straße gingen, verfassten zehn Experten des Hohen Kommissars der UN für Menschenrechte einen offenen Brief. Regierungen würden vor den Interessen von Konzernen einknicken, schrieben sie, wenn ihnen Klagezahlungen in Milliardenhöhe drohen, „zum Beispiel bei der Verabschiedung von Vorschriften zum Schutz der Umwelt, zur Ernährungssicherheit, zum Zugang zu generischen und essentiellen Arzneimittel.“

EU-Streit über Regeln für Konzernverantwortung

Die öffentliche Debatte um Sonderklagerechte für ausländische Investoren reißt nicht ab. Unterdessen streiten deutsche und europäische Politik über die Unterstützung eines verbindlichen UN-Vertrags zu Menschenrechtsverletzungen durch Konzerne.

Inwiefern Staaten ihre Gesetzesvorhaben tatsächlich aufgrund von Investorenklagen ändern, lässt sich schwer bemessen. Aus einem Bericht der UN vom Mai dieses Jahres geht allerdings hervor, dass die Zahl der Klagen seit den 90er Jahren stark zugenommen hat. Weltweit sind 983  solcher Verfahren bekannt, damit hat sich die Zahl seit der Jahrtausendwende etwa verzehnfacht. Spanien ist nach Argentinien mit 50 Verfahren das weltweit am meisten beklagte Land, zweit häufigstes Land in der EU ist Tschechien mit 38 Fällen.

Klagen als Geschäft für Unternehmen und Hedgefonds

Das Instrument der Konzernklage – offiziell Investor-State Dispute Settlement (ISDS) genannt – wird zum Schutz ausländischer Unternehmen in bilateralen Abkommen festgehalten. Die Klagen werden nach den Regeln der Weltbank sowie der Konferenz der UN für Handel und Entwicklung ausgetragen. Die Idee dahinter: Sollten die Gewinne oder Geschäfte eines Unternehmens eingeschränkt werden, weil der ausländische Staat, in dem es investiert hat, ein neues Gesetz verabschiedet, kann das Unternehmen diesen auf Entschädigungszahlungen verklagen. Entschieden werden die Fälle von einem privaten Schiedsgericht aus drei Richtern, die in gleichen Teilen vom Staat und dem Unternehmen ernannt werden.

Seit Jahren gibt es Kritik an diesem System. Die Schiedsrichter gelten als nicht neutral, außerdem finden die Verhandlungen unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Vor allem, meint die Handelsexpertin Bettina Müller, seien die Klauseln in den Abkommen, die eine Klage erst möglich machen, viel zu vage formuliert.

„Das ISDS-System gibt Investoren exklusive Klagerechte neben den nationalen Gerichten, zu denen andere keinen Zugang haben. Ein Staat oder die Geschädigten von Menschenrechten können diese Schiedsgerichte nicht anrufen“, sagt Müller im Gespräch mit EURACTIV. Die steigende Zahl von Klagen zeige, dass das System längst zu einem Geschäft für Unternehmen und Hedgefonds geworden sei. „Die Kläger hoffen auf massive Gewinne. Denn im Verfahren verlangen Konzerne nicht nur eine Rückerstattung ihrer Investitionen, sondern häufig auch eine Entschädigung für nicht erfüllte Gewinnerwartungen. Und die können um ein Vielfaches höher sein.“ Außerdem entschieden die Schiedsgerichte in einer Mehrheit der Fälle im Interesse der Investoren. Das geht auch aus den Zahlen der UN hervor. Von den öffentlich bekannten Fällen wurden 2018 rund 70 Prozent der Urteile im Sinne der Konzerne gefällt. In den letzten 30 Jahren kam es im Schnitt in 23 Prozent der Fälle zu einem Vergleich zwischen beiden Parteien – oft hieße das, dass der Staat das Unternehmen entweder auszahle oder seine Gesetzesvorhaben abschwäche oder komplett verwerfe, meint Müller.

CETA-Schiedsgerichte wohl mit EU-Recht vereinbar

Das CETA-Streitbeilegungssystem sei mit dem EU-Recht vereinbar, so der Generalanwalt des EU-Gerichtshofs. Rechtskräftig ist diese Einschätzung noch nicht.

EU plant ein ständiges Gericht für Unternehmensklagen

Um das Klageprinzip gerechter zu gestalten, hat die EU-Kommission ein eigenes Modell erarbeitet und der UN vorgelegt. Der „Multilateral Investment Court“ (MIC) soll ein ständiges und unabhängiges Schlichtungsorgan sein, das nicht wie im ISDS-System für jeden Fall einzeln von den Klägern einberufen wird. Ein Vorgängermodell des MIC hat bereits Eingang in die Freihandelsverträgen der EU mit Kanada, Vietnam, Singapur und Mexiko gefunden. Die scheidende EU-Kommissarin Cecilia Malmström erhofft sich davon eine größere Unabhängigkeit der Gerichte: „Nur ein ständiges Gremium mit hauptberuflichen Sachverständigen kann die potenziell perversen Anreize des derzeitigen Systems beseitigen.“ Anders als bisher sollen im MIC auch Gewerkschaften und NGOs angehört werden können.

Aus Sicht der Kritiker reicht das bei Weitem nicht aus. Unter dem Titel „Menschenrechte schützen – Konzernklagen stoppen!“ engagieren sich seit diesem Jahr 200 europäische Organisationen, Gewerkschaften und soziale Bewegungen für eine komplette Abschaffung der Konzernklagerechte, auch in Form des MIC. Unternehmen, so die Forderung des Bündnisses, sollen ihre Klagen auf nationale Gerichte beschränken, die für jedermann zugänglich sind. Zwar bringe der MIC punktuelle Verbesserungen mit sich, meint Müller. „An der ungerechten und einseitigen Struktur des Systems ändert der Vorschlag aber nichts.“

Bislang existieren der MIC bzw. sein Vorgängermodell nur auf dem Papier, denn die Investitionsschutzkapitel in den neuen Handelsverträgen der EU sind noch nicht von allen Mitgliedsstaaten ratifiziert worden. Aber seit der EU-Rat im März vergangenen Jahres sein grünes Licht gab, liegt der Vorschlag aus Brüssel auf dem internationalen Verhandlungstisch der UN, wo derzeit um eine Reform des ISDS-Klagesystem gerungen wird.

Die Klagen werden deswegen nicht weniger. Im September wurde Deutschland erneut vor ein Schiedsgericht beordert. Diesmal vom österreichischen Bau- und Energiekonzern Strabag, der Deutschland aufgrund von Änderungen im Erneuerbare-Energien-Gesetz verklagt.

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