Altmaier: „Wir befinden uns nicht in der Krise“

Der deutsche Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU). [EPA-EFE/ADAM BERRY]

Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier spricht im Interview mit EURACTIV Kroatien unter anderem über die anstehenden EU-Ratspräsidentschaften Kroatiens und Deutschlands, die umstrittene Schwarze Null und die Zukunftsaussichten der Westbalkanstaaten. 

Peter Altmaier (CDU) ist Bundesminister für Wirtschaft und Energie im aktuellen Kabinett von Kanzlerin Angela Merkel. 

Das Interview führte Željko Trkanjec von EURACTIV Kroatien.

Herr Altmaier, was werden die gemeinsamen Themen der anstehenden EU-Ratspräsidentschaften Kroatiens und der Bundesrepublik Deutschland im Jahr 2020 sein?

Wettbewerbsfähigkeit, Wohlstand und Wirtschaftswachstum sind drei übergeordnete Ziele unserer EU-Präsidentschaften. Gleichzeitig wollen wir die Solidarität zwischen den EU-Mitgliedstaaten und die Rolle der EU als international wirksamer Akteur in einer auf Regeln beruhenden internationalen Ordnung stärken. Auch die Chancen, die Digitalisierung und Innovation bringen, werden eine wichtige Rolle spielen.

Wir wollen insgesamt einen engen Austausch mit unseren europäischen Partnern. Dies ist natürlich besonders wichtig für Kroatien, das noch vor Deutschland die EU-Ratspräsidentschaft innehat.

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Stichwort Solidarität: Ist die sogenannte „Schwarze Null“ wirklich derart wichtig? Warum erfüllt Berlin die Erwartungen und Forderungen nicht, dass Deutschland sein fiskalisches Spar- und Austeritätsprogramm endlich durch ein Investitions- und Konjunkturprogramm ergänzen sollte?

Wir verfolgen eine zukunftsorientierte Wirtschaftspolitik, die das Wachstum fördert. Und unsere öffentlichen Investitionen liegen dabei auf Rekordniveau. Seit 2015 sind sie im Durchschnitt um rund sieben Prozent pro Jahr gewachsen. Und wir investieren weiter: Allein in den kommenden drei Jahren werden wir weitere 54 Milliarden Euro in den Klimaschutz investieren.

Gleichzeitig haben wir eine Vielzahl von Steuervergünstigungen für die Bürger sowie für Unternehmen eingeführt. Diese Vorteile bieten den Unternehmen zusätzlichen Raum für Innovationen und Investitionen in die Zukunft. Denn 90 Prozent solcher Investitionen kommen von der privaten Seite. All dies verbinden wir mit einer soliden Haushaltspolitik, die dank hoher Steuereinnahmen nach vielen Jahren des Aufschwungs und niedriger Zinsen genügend Spielraum für Investitionen lässt.

Dabei scheint sich Deutschland allerdings am Rande einer Rezession zu befinden – die auf die gesamte EU übergreifen könnte…

Für 2019 rechnen wir mit einem Wachstum des Bruttoinlandsprodukts von 0,5 Prozent. Der Binnenmarkt ist nach wie vor robust.

Es stimmt: Die exportorientierte deutsche Industrie befindet sich aufgrund der sich abzeichnenden Handelskonflikte und der sich abkühlenden Weltwirtschaft in einer konjunkturellen Abschwächungsphase. Aber wir befinden uns nicht in einer Krise! Bereits im kommenden Jahr rechnen wir schon wieder mit einem leicht höheren Wachstum von rund 1,0 Prozent.

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Wichtig dürften in dieser Hinsicht auch die deutsch-französischen Vorschläge für eine gemeinsame EU-Industriepolitik werden. Wie geht es voran?

Deutschland und Frankreich haben im Februar dieses Jahres Vorschläge zur Stärkung der industriellen und politischen Wettbewerbsfähigkeit Europas in der Welt vorgelegt, die wir jetzt bereits mit den anderen EU-Mitgliedstaaten diskutieren. Am 4. Juli 2019 haben Frankreich, Polen und Deutschland eine gemeinsame Initiative zur Modernisierung der EU-Wettbewerbspolitik ergriffen.

Ich freue mich, dass die neue Europäische Kommission bereits eine europäische Industriestrategie angekündigt hat und damit unsere grundlegenden Anforderungen berücksichtigt. Wir warten nun auf eine solche umfassende und langfristig ausgerichtete Industriestrategie der Kommission.

Wie wollen Sie die – wie Sie bereits betont haben – exportorientierte Wirtschaft Deutschlands gegen die angekündigten US-Zölle schützen?

Ich bedauere die Entscheidung der USA, Zölle aufgrund des Airbus-Falles einzuführen. In diesem Zusammenhang hat die Europäische Union diverse Angebote für Verhandlungen vorgelegt.

Am Ende schaden sich die USA durch die Zölle vor allem selbst: Höhere Zölle verursachen höhere Kosten für die US-Wirtschaft und höhere Preise für die Verbraucher. Darüber hinaus wird die EU in Kürze aufgrund der Boeing-Entscheidung [der Welthandelsorganisation] ebenfalls einen Hebel für Sanktionen in haben.

Die beiden Seiten sollten diesen Streitfall daher auf dem Verhandlungsweg lösen.

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Abschließend noch eine Frage zum Westbalkan: Würde sich eine stärkere wirtschaftliche Integration der Balkanländer positiv auf ihren weiteren Weg zur EU-Mitgliedschaft auswirken?

Südosteuropa ist eine Region der Chancen und Möglichkeiten; davon bin ich überzeugt. Der deutsche Mittelstand engagiert sich in der Region, die regionale Zusammenarbeit wächst ständig, und so haben wir eine große Chance, diese Region noch näher an die Europäische Union heranzuführen und die wirtschaftliche Zusammenarbeit zu intensivieren.

Im Rahmen des Berlin-Prozesses engagieren wir uns gemeinsam mit der deutschen Wirtschaft darüber hinaus für den Aufbau eines dualen Bildungssystems in der Region.

Auch der „Digitalgipfel“ der Westbalkanländer basierte ursprünglich auf einer Initiative der Bundesregierung. Der diesjährige Digitalgipfel in Belgrad hat eindrucksvoll die unmittelbaren positiven Ergebnisse aufgezeigt, die eine solche regionale Zusammenarbeit bringen kann.

[Bearbeitet von Tim Steins]

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