Bundesregierung beschließt Deutschlands erstes Klimagesetz

Die Koalitionsspitzen heute bei der Präsentation des deutschen Klimaschutzgesetzes. [Alexander Becher/ epa]

Die Bundesregierung hat Deutschlands größtes Klimapaket verabschiedet. Allein in den kommenden vier Jahren sollen 54 Milliarden Euro in die Sektoren Verkehr und Wärme fließen, um die Klimaziele für 2030 zu erreichen. Doch der geplante Preis auf CO2 ist dafür viel zu niedrig, bemängeln Kritiker .

In einer Marathonsitzung von 18 Stunden haben  sich die Spitzen der großen Koalition auf einen Eckpunkteplan für ein Klimaschutzgesetz geeinigt. Die Verhandlungen seien „intensiv“ gewesen, sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) heute am 20. September bei einer Pressekonferenz, auf der die Minister des Klimakabinetts als auch die Parteichefs anwesend waren.

Einer der Knackpunkte war die Einführung einer CO2-Bepreisung gewesen: Während die SPD für eine Steuer geworben hatte, pochte die Union auf einen Zertifikatehandel für den Transport- und Gebäudesektor und setzte sich nach zähen Verhandlungen damit durch. Bei der Präsentation des 22-seitigen Dokuments, das Deutschlands größtes je geschnürtes Klimapaket darstellt, zeigten sich dann doch alle Anwesenden zufrieden. Sie sei stolz auf das beschlossene Paket, sagte eine übermüdet wirkende Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU): „Ich hätte nie gedacht, wie lang diese Nacht wird“.

Mehr als eine Million Menschen bei neuem bundesweiten Klimastreik auf der Straße

Mehr als eine Million Demonstranten sind am Freitag laut Veranstaltern bundesweit bei einem neuerlichen großen Klimastreik auf die Straße gegangen. Demnach folgten rund 1,4 Millionen Menschen einem Aufruf der Schülerbewegung Fridays for Future und zahlreicher anderer Organisationen.

„Ich glaube dass das ein sehr kraftvolles Paket ist, das uns viele Möglichleiten verschafft. Und  dass es in der Lage ist, den Klimawandel aufzuhalten“ verkündete auch Bundesfinanzminister Olaf Scholz. Sein Ministerium stand vor der Herausforderung eines finanziellen Spagats: Auf der einen Seite belaufen sich die Ausgaben für das Klimapaket laut Scholz auf 54 Milliarden Euro bis einschließlich 2023. Gleichzeitig werde man keine neuen Schulden aufnehmen. Einen Großteil der Kosten soll in Zukunft aus dem Energie- und Klimafonds der Bundesregierung gedeckt werden, in den die Einnahmen des europäischen Zertifikatehandels fließen.

CO2-Preis bis 2025 vorgegeben

Der Entwurf zum Klimagesetz, das später in ein entsprechendes Rahmengesetz gegossen werden soll, sieht eine ganze Spannbreite von Maßnahmen vor, um die Emissionen in den Sektoren Landwirtschaft, Transport und Gebäude bis zum Jahr 2030 um 38 Prozent im Vergleich zu 2005 zu senken, wie es die EU-Lastenteilungsverordnung vorsieht.

So sollen im Verkehrsbereich eine Million neuer Ladesäulen für E-Autos bis zum Jahr 2030 zur Verfügung stehen, gleichzeitig wird der Kauf elektrischer Autos stärker gefördert. Auch die Bahn soll ausgebaut werden, dafür ist pro Jahr eine Milliarde zusätzlicher Gelder vorgesehen. Bahntickets sollen vergünstigt und die Pendlerpauschale erhöht werden. Im Gebäudebereich soll es in Zukunft möglich sein, klimafreundliche Sanierungsmaßnahmen steuerlich abzusetzen – eine Forderung, die seit Jahren im Raum stand. Auch der Kauf einer klimafreundlichen Heizung ohne Öl soll eine staatliche Förderung von 40 Prozent erhalten, ab 2026 soll deren Kauf dann ganz verboten werden. In der Landwirtschaft finden sich weniger konkrete Zahlen, hier werde man vor allem den Stickstoffüberschuss abbauen, wegen dem Deutschland sich in einem Strafverfahren der  EU-Kommission befindet, heißt es im Papier.

Bei der Frage, wie fossile Brennstoffe bepreist werden sollen, hat sich die große Koalition auf einen schrittweisen Einstieg eines Marktpreises geeinigt: Von 2021 bis 2026 soll es einen Fixpreis auf jede ausgestoßene Tonne CO2 geben. Raffinerien und Gasanbieter müssen dann Zertifikate für jedes Tonnenäquivalent kaufen, der Preis wird an den Verbraucher weitergegeben. Anfangs soll jede Tonne CO2 zehn Euro kosten, bis 2025 steigt der Preis auf 35 Euro. Ab 2026 soll eine Versteigerung der Emissions-Zertifikate in einem Preiskorridor zwischen 35 und 60 Euro erfolgen. Danach soll die maximale Zertifikatemenge gekappt und jährlich reduziert werden. Um Bürger nicht zu stark zu belasten, soll im Gegenzug unter anderem der Strompreis gesenkt und das Wohngeld um zehn Prozent erhöht werden.

Verfehlte Klimaziele: „Wir schämen uns aller hier dafür“

Das neue Bepreisungsmodell trifft auf deutliche Kritik der Umweltverbände und Forscher, die einen Einstiegspreis von mindestens 50 Euro die Tonne gefordert hatten. Das Paket sei „erschreckend kraft- und mutlos“, meint Patrick Graichen, Direktor des Thinktanks Agora Energiewende: „Die zehn Euro pro Tonne CO2 entfalten keinerlei Lenkungswirkung, und die jährliche Anhebung ist so homöopathisch, dass das kaum mehr als die Inflationsentwicklung ist.“

Der Preis steige „zugegebernermaßen sehr langsam“, sagte Angela Merkel heute vor Journalisten. Man habe einen sozialverträglichen Kompromiss gesucht: „Wir kommen nach der Mitte des Jahrzehntes auf einen Preis, der relevant ist und sich als Marktpreis etablieren könnte“.

Klimaschutzgesetz: Ein "Wir schaffen das" nach Brüssel?

Die Koalitionsspitzen verhandeln am Donnerstag Abend die letzten offenen Punkte des Klimaschutzgesetzes. Deutschland kann damit ein starkes Signal nach Brüssel senden, wo übre eine Erhöhung der Klimaziele für 2030 debattiert wird.

Obwohl die SPD bei ihrem Vorschlag einer CO2-Steuer nachgegeben musste, setzte sich doch der Vorschlag der Umweltministerin Svenja Schulze (SPD) durch, den einzelnen Sektoren ein jährliches CO2-Budget vorzugeben und dieses durch ein Gremium überprüfen zu lassen. Überschreitet ein Sektor in Zukunft sein Emmissionsbudget, muss das zuständige Ministerum Zertifikate aus anderen EU-Staaten kaufen. Man habe die Konsequenzen aus dem Verfehlen der 2020-Ziele gezogen und werde nun „alles daran setzen, dass uns das nicht 2030 wieder passiert“, sagte die stellvertretende SPD-Vorsitzende Malu Dreyer. „Wir schämen uns aller hier dafür, dass wir es nicht schaffen werden, die Klimaziele 2020 zu erreichen“.

Der kleinste gemeinsame Nenner

Mit der Einführung  eines nationalen Zertifikatehandels für CO2 werde sich Deutschland auch auf EU-Ebene dafür einsetzen, den europäischen ETS auf weitere Sektoren zu erweitern, sagte Finanzminister Scholz. Außerdem wolle man einen Mindestpreis im EU-ETS einführen: „Wir werden im europäischen Gremium dafür werben und haben damit schon angefangen.“ Sie wolle sich auch weiterhin im EU-Rat sowie beim New Yorker Klimagipfel am Montag einer Allianz von Staaten anschließen, die bis 2050 klimaneutral seien wollen, so Merkel.

Forschung: Pariser Klimaziel schon jetzt nicht mehr erreichbar?

Nach neuen Prognosen liegt das im Pariser Klimaabkommen festgelegte Ziel von bestenfalls 1,5 Grad Celsius Temperaturerhöhung bereits außer Reichweite. Im optimistischsten Szenario werde bis 2060 ein Anstieg von 1,9 Grad erreicht.

Mit dem heute geschnürten Klimapaket sende Deutschland zwar in der Tat ein ambitioniertes Signal an seine europäischen und internationalen Partner, meint Alexander Reitzenstein, Policy Advisor beim Klima-Thinktank E3G. Doch die große Koalition habe sich auf  „den kleinsten gemeinsamen Nenner geeinigt“ und werde die eigenen Klimaziele so nicht erreichen.

Auch aus der Opposition kommt erwartungsgemäß Kritik.  Das Gesetz sei ein „Sammelsurium von Einzelmaßnahmen“, das nicht genügend auf Innovation setze und zu „Preiserhöhungen ohne Ziel und Plan“ führen werde, so FDP-Parteichef Christian Lindner.

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