„Europäisierung“ des deutschen Kartellrechtes: Risiken für deutsche Unternehmen steigen

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WhatsApp darf künftig von den deutschen Sicherheitsbehörden überwacht werden. [Foto: Shutterstock]

Der deutsche Gesetzgeber plant eine weitere „Europäisierung“ des Kartellrechtes. Doch die damit verbundenen Haftungsrisiken von und für Konzerne werden Unternehmen mit größeren Risiken konfrontieren.

Vor wenigen Tagen hat das Bundeswirtschaftsministerium den lange erwarteten Referentenentwurf der 9. Novelle des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) vorgelegt.

Im Zuge der anstehenden Reform nimmt der deutsche Gesetzgeber unter anderem eine weitere „Europäisierung“ des deutschen Kartellrechtes vor. Dazu werden in dem Referentenentwurf die Vorgaben der sogenannte EU-Kartellschadensersatzrichtlinie in das deutsche Kartellrecht überführt. Außerdem sieht der Referentenentwurf die Übernahme des europäischen „Unternehmensbegriffs“ im deutschen Kartellrecht vor und begründet damit eine – dem deutschen Recht bisher fremde – kartellrechtliche Konzernhaftung. Dadurch werden die ohnehin bereits bestehenden erheblichen unternehmerischen Haftungsrisiken für Kartellverstöße weiter verschärft.

Vor dem Hintergrund der fortschreitenden internationalen Digitalisierung der Wirtschaft und der Gesellschaft soll es dem Bundeskartellamt künftig außerdem ermöglicht werden, Unternehmenszusammenschlüsse zu überprüfen, wenn der Transaktionswert 350 Mio. Euro überschreitet.

Umsetzung der EU-Kartellschadensersatzrichtlinie

Im Dezember 2014 haben das EU-Parlament und der Rat der EU die sog. Kartellschadensersatzrichtlinie verabschiedet und die EU-Mitgliedstaaten verpflichtet, die Vorgaben der Richtlinie bis zum 27.12.2016 in das jeweilige nationale Recht umzusetzen. Ziel der Kartellschadensersatzrichtlinie ist insbesondere die erleichterte Durchsetzung von kartellrechtlichen Schadensersatzansprüchen durch Kartellgeschädigte. Der Referentenentwurf kommt diesen Verpflichtungen nach und enthält umfangreiche materielle und prozessuale Regelungen, die aller Voraussicht nach künftig zu einer weiteren Zunahme von Kartellschadensersatzklagen führen werden. Einige Regelungen sind dabei besonders beachtenswert:

  • Der Referentenentwurf sieht u.a. eine gesetzliche widerlegliche Vermutung für den Eintritt eines kartellbedingten Schadens vor. Darlegungs- und beweispflichtig ist damit künftig lediglich die Höhe des jeweiligen Kartellschadens, wobei Gerichte diesen – wie bereits bisher – unter gewissen Umständen gem. § 287 Zivilprozessordnung (ZPO) schätzen können. Eine vergleichbare Vermutung ist auch zugunsten sog. mittelbarer Abnehmer, das heiß Abnehmer einer Ware oder Dienstleistung in der weiteren Vertriebskette, vorgesehen.
  • Darüber hinaus soll Kartellgeschädigten künftig – auch bereits außerhalb eines anhängigen Gerichtsverfahrens – erleichterter Zugang zu Unterlagen und Informationen zur Begründung eines Kartellschadensersatzanspruches ermöglicht werden.
  • Entsprechend der EU-Kartellschadensersatzrichtlinie wird außerdem die Verjährung von Kartellschadensersatzansprüchen von drei auf fünf Jahre verlängert.

Bei allen Erleichterungen für Kartellgeschädigte sieht der Referentenentwurf ausdrücklich Schutzvorschriften für Kronzeugen und Kronzeugenunterlagen vor. Dazu soll etwa die zivilrechtliche Haftung von Kronzeugen derart eingeschränkt werden, dass diese grundsätzlich nicht für Kartellschäden von Abnehmern und Lieferanten anderer Kartellteilnehmer haften.

Schließung der „Wurstlücke“

Ohne durch den europäischen Gesetzgeber dazu aufgefordert zu sein, sieht der Referentenentwurf eine Übernahme des europäischen Unternehmensbegriffs in das deutsche Kartellrecht vor. Vereinfacht ausgedrückt besagt der europäische Unternehmensbegriff, dass lenkende Konzernmuttergesellschaften auch für das kartellrechtswidrige Verhalten ihrer Tochter und Enkelgesellschaften verantwortlich gemacht und mit Bußgeldern belegt werden können.

In diesem Zusammenhang schließt das Bundeskartellamt auch die sogenannte „Wurstlücke“, die es Unternehmen bisher ermöglichte, sich Kartellbußgeldern durch geschickte Umstrukturierungen zu entziehen. Prominentes Beispiel hierfür war der Fleischproduzent Tönnies, dem es gelang, durch eine solche Umstrukturierung einer Geldbuße in Höhe von 120 Millionen Euro zu entgehen. Dies soll künftig nicht mehr möglich sein.

Mit diesen Regelungen will das Bundeswirtschafsministerium den in der Rechtswissenschaft höchst umstrittenen „Unternehmensbegriff“ aus dem europäischen Kartellrecht in das deutsche Recht überführen. Dabei bricht das Bundeswirtschaftsministerium mit zahlreichen Grundprinzipien des deutschen Rechtes, die unter anderem vorsehen, dass Sanktionen nur gegen dasjenige Unternehmen verhängt werden dürfen, dessen Angestellte an den kartellrechtswidrigen Handlungen beteiligt waren.

Aufgrund der erheblichen Erweiterung der Haftungsmöglichkeit und den damit verbundenen Haftungsrisiken von und für Konzerne werden die geplanten Neuerungen erhebliche Auswirkungen auf die unternehmerische Praxis haben.

Erweiterte Kontrollmöglichkeiten von Fusionen

Nach dem Entwurf soll es dem Bundeskartellamt künftig ermöglicht werden, Unternehmenszusammenschlüsse dann zu überprüfen, wenn insbesondere der Transaktionswert 350 Millionen Euro überschritten wird. Damit reagiert das Bundeswirtschaftsministerium vor allem auf den Erwerb von WhatsApp durch Facebook im Jahr 2014, und schafft in Anlehnung an das US-amerikanische Recht einen neuen fusionskontrollrechtlichen Aufgreiftatbestand. Bei der Übernahme von WhatsApp zahlte Facebook einen Kaufpreis in Höhe von ca. 19 Milliarden US-Dollar. Dennoch wäre der Zusammenschluss nach den heutigen Aufgreifschwellen der Fusionskontrolle – die nur auf Unternehmensumsätze abstellt – nicht von dem Bundeskartellamt überprüfbar gewesen. Auch die Europäische Kommission konnte sich nur deshalb mit dem Erwerb von WhatsApp durch Facebook befassen, weil Facebook selbst einen Verweisungsantrag gestellt hatte.

Ausblick

Der Referentenentwurf wird nun in den parlamentarischen Prozess eingebracht. Es bleibt abzuwarten, welche Regelungen nach dem Abschluss des Gesetzgebungsverfahrens Bestand haben werden bzw. ob weitere Verschärfungen für Unternehmen hinzukommen.

Die Autoren

Dr. Harald Kahlenberg und Peter Giese sind Rechtsanwälte bei CMS in Deutschland und auf Kartellrecht spezialisiert.

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